Frage 5

Warum fällt der Bürgenberg gegen Norden sehr steil ab?

Der Bürgenberg markiert die Grenze zwischen Alpen und Mittelland. Bei der Alpenbildung wurden seine Gesteinsschichten aufgeschoben und schräggestellt. Gletscher und Bergstürze trugen auf der Nordseite grosse Gesteinsmassen ab.
Abb. 1: Steile Nordseite des Bürgenbergs mit Hammetschwand-LiftAbb. 1: Steile Nordseite des Bürgenbergs mit Hammetschwand-Lift

Abb. 2: Bürgenberg und Pilatus von der Rigi
Abb. 2: Bürgenberg und Pilatus von der Rigi

Markant ragt der Bürgenberg aus dem Vierwaldstättersee (Abb. 2). Der Höhenunterschied vom Seespiegel bis zum Gipfel beträgt rund 700 Höhenmeter. Die Nordseite fällt praktisch senkrecht zum See hin ab. Die Südseite verläuft weniger steil, grenzt sich aber ebenfalls scharf gegen die Flussebene der Engelberger Aa ab.
Der Bürgenberg gehört zur nördlichsten Einheit der Schweizer Alpen. Diese erstreckt sich vom Niederhorn (am Thunersee) über die Schrattenfluh, den Pilatus, den Bürgenberg, den Vitznauer-/Gersauerstock, die Rigi-Hochflue bis zum Urmiberg (bei Brunnen). Sie bildet die Grenze zwischen Alpen und Mittelland und wurde während der Alpenbildung auf die darunter liegenden, mittelländischen Gesteinseinheiten aufgeschoben. Diese Gesteinsschichten wurden dadurch schräg gestellt und gegen Süden gekippt.

Abb. 3: Vom Felsenweg nach Süden (in den Fels hinein) fallende Schichten
Abb. 3: Vom Felsenweg nach Süden (in den Fels hinein) fallende Schichten

Auf der Nordseite des Bürgenbergs, beim Felsenweg, wurden die Schichten vom Gletscher und durch Bergstürze abgeschnitten (Abb. 3). Deshalb fällt hier der Bürgenberg steil ab. Die Grenzlinien zwischen den Gesteinsschichten verlaufen auf Höhe des Felsenwegs mehr oder weniger horizontal, während die Schichten nach Süden sozusagen in den Berg „hineinfallen“.
Auf der Südseite des Bürgenbergs liegen die Gesteinsschichten flach und folgen ungefähr der Hangneigung. Das heisst, wir bewegen uns beim Wandern auf einer Schichtgrenze. Hier hat der Gletscher die Schichten nicht abgeschnitten.

Durch welche Prozesse wurden die Gesteinsschichten am Bürgenberg schräggestellt?

Vor rund 100 Millionen Jahren existierte zwischen Europa und Afrika ein flaches Meer. Die Gesteine des Bürgenbergs wurden an dessen nördlichem, europäischem Uferbereich abgelagert.
Grosse plattentektonische Veränderungen führten schliesslich zu einem Zusammenschub der Kontinente Europa und Afrika. Bei diesem Schub, der grob von Süden nach Norden verlief, wurden die Felspakete des Bürgenbergs von ihrem ursprünglichen Ablagerungsort, dem Meeresboden, losgerissen und Dutzende von Kilometern weit nach Norden transportiert. Sie blieben an ihrer heutigen Lage am Nordrand der Alpen beziehungsweise an der Grenze zu den Gesteinen des Mittellandes liegen (Abb. 4).

Abb. 4: Der Bürgenberg liegt am Nordrand der heutigen Alpen.Abb. 4: Der Bürgenberg liegt am Nordrand der heutigen Alpen.

Durch diesen Schub der Alpen kam es zu Überschiebungen und Faltenbildungen. Die einst horizontal gelagerten Schichten des Bürgenbergs wurden nach Süden geneigt (Abb. 5 und 6).

Abb. 5: Geometrische Anordnung der Gesteinsschichten am Bürgenstock im Bild (Nordseite des Bürgenbergs) und im SchemaAbb. 5: Geometrische Anordnung der Gesteinsschichten am Bürgenstock im Bild (Nordseite des Bürgenbergs) und im Schema

Sind die Aufschiebung und Schrägstellung der Schichten am Bürgenberg im Gelände sichtbar?

Am Bürgenberg treten die gefalteten Gesteinsschichten in der Landschaftsform deutlich zutage. Dieser Zusammenhang wird verständlich, wenn wir den Bürgenberg quer zur Gebirgskette in einem Profil zerschneiden (Abb. 6).

Abb. 6: Schematisches Nord-Südprofil durch den BürgenbergAbb. 6: Schematisches Nord-Südprofil durch den Bürgenberg

Im Profil ist die Schrattenkalk-Formation blau eingefärbt. Bedingt durch die M-förmige Doppelfaltung und nachfolgende Erosion tauchen die Schrattenkalke gleich mehrfach und an unterschiedlichen Stellen an der Oberfläche auf. Die beiden A-förmigen Faltenscheitel (=Antiklinale) sind als Grate Schiltgrat-Hammetschwand und Seewligrat erkennbar, wobei der Schiltgrat-Hammetschwand-Faltenscheitel in der Mitte zerschnitten ist (Abb. 7). Die U-förmige Faltenmulde (=Synklinale) bildet das Tälchen von Obbürgen. Auf der Bürgenberg-Nordseite haben Verwitterung und Erosion den nördlichen Faltenschenkel abgeschnitten. Die Nordflanken des Schiltgrats und der Hammetschwand erweisen sich entsprechend als sehr steil.

Abb. 7: M-förmige Doppelfaltung des Bürgenbergs mit abgeschnittener NordflankeAbb. 7: M-förmige Doppelfaltung des Bürgenbergs mit abgeschnittener Nordflanke

Nicht erkennbar, da im Vierwaldstättersee verborgen, ist die Überschiebung des Bürgenberg-Gesteinspakets auf das darunter liegende Molassebecken des Mittellandes. Diese Überschiebung entstand in einer späten Phase der Alpenfaltung. Sie bildet die Grenze zwischen den Alpen (Bürgenberg) und Voralpen (z.B. Rigi).

Wie können die Gesteine der Alpen verfaltet werden?

Gesteinsmaterial ist in tieferen Bereichen der Erdkruste aufgrund des höheren Drucks und der höheren Temperatur meistens plastisch. Es kann daher durch horizontal oder vertikal wirkende Kräfte – ähnlich wie Papier – zu einer Falte verformt werden. Falten können dabei eine Ausdehnung von vielen Kilometern bis zu wenigen Zentimetern erreichen.
Bei der Bildung von Falten werden Gesteinsschichten durch Druck von aussen wellenartig verformt. Der nach oben gerichtete Teil einer Falte heisst auch Antiklinale, den nach unten gerichteten Teil nennt man Synklinale (Abb. 8).

Abb. 8: Geometrie von GesteinsfaltenAbb. 8: Geometrie von Gesteinsfalten

Der Bürgenberg besteht aus zwei aneinander gehängten Falten (mit der Form A-U-A, vgl. Abb. 8). Die Gratlinie Schiltgrat-Hammetschwand im Norden und der Seewlisgrat im Süden bilden je die Scheitel einer Antiklinalen. Im Gegensatz dazu liegt Obbürgen in einer Faltenmulde und damit im Faltenkern.

Wie können die Gesteine der Alpen zerbrochen und aufgeschoben werden?

Nahe der Erdoberfläche verhalten sich viele Gesteine starr und zerbrechen unter den Kräften der Gebirgsbildung und den damit verbundenen Erdbewegungen. Gesteinsschichten werden dabei entlang von Bruchflächen gegeneinander versetzt (Abb. 8). Solche Brüche, auch Verwerfungen genannt, können unterschiedlich auftreten: Bei einer Seitenverschiebung gleiten Schollen der Erdkruste entlang einer senkrechten Fläche aneinander vorbei (a). Verschieben sich die Schichten entlang der Bruchfläche nach unten, spricht man von einer Abschiebung (b). Bei einer Überschiebung hingegen werden Schichten entlang einer Bruchfläche nach oben versetzt (c).
Verwerfungen können eine Ausdehnung von vielen Kilometern bis zu wenigen Zentimetern haben. Sie sind für die Deckenbildung in der Alpengeologie verantwortlich und begründen die komplizierte geologische Situation zahlreicher Gipfel im Alpenraum.

Abb. 9: Seitenverschiebung (a), Abschiebung (b), Überschiebung (c)Abb. 9: Seitenverschiebung (a), Abschiebung (b), Überschiebung (c)

Am Bürgenberg treten Verwerfungen ganz unterschiedlicher Dimensionen zutage. Verwerfungen im Zentimeter- bis Dekameterbereich versetzten kleinräumig Gesteinsschichten gegeneinander. Grosse über mehrere Kilometer reichende Überschiebungen haben das Gesteinspaket des Bürgenbergs auf die im Norden angenzende Molasse aufgeschoben (Abb. 10).

Abb. 10: Nord-Südprofil mit Überschiebung des Bürgenbergs (= Alpen, farbig) auf die Molasse (= Voralpen, braun)Abb. 10: Nord-Südprofil mit Überschiebung des Bürgenbergs (= Alpen, farbig) auf die Molasse (= Voralpen, braun)